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Sich zu schildern, ist eine knifflige Sache, denn entweder überschätzt oder unterschätzt man sich masslos, aber richtig einordnen tut man sich selten. Letztlich ist man auch nicht nur aus sich heraus sich selber, sondern eben das komplexe Ergebnis unbedacht agierender Ahnen, die völlig willkürlich das Füllhorn des Lebens über ihre künftigen Generationen verwehen.

Deshalb hier ein Orientierungsversuch für den Leser, was mich so geprägt haben könnte.

Als ich am 5. April 1947 geboren wurde, rutschte ich in komplexe Familienverhältnisse und erbte einen prallen Rucksack voller Widersprüche.

Da war mein Vater, ein pflichtbewusster, humorvoller Agnostiker, elegant in der Erscheinung nach aussen, aber nachlässig, sobald er im Hause war. Er war Bilingue, Welsch-Freiburger über seine Mutter, Deutschschweizer über seinen Vater.

Meine Mutter, kritische Katholikin, politisch radikal, war eine Grande Dame mit Stil und savoir vivre et faire, aus dem welschen Freiburg, aus Bulle und Greyerz. Sie legte auch in Bern ihre französische Art nicht ab; Deutsch sprach sie nie korrekt, konnte sich aber leidlich verständigen.

Die mir überblickbare Familiengeschichte begann für mich mit etwa 12 Jahren, als ich in der väterlichen Bibliothek sechs Bände Tarzan fand, in alter deutscher Schrift und wunderschönem Tiefdruck.

Ich schmökerte mit steigendem Interesse in diesen Büchern und plötzlich rutschten beschriebene Blätter Papier aus dem Buche und schwebten, gleich welken Herbstblättern in phantasievollen Kurven zu Boden. Ich hob sie auf, ordnete diese und las, was in Sütterlinschrift sorgfältig aufgezeichnet. Deutsche Schrift und Sütterlin waren mir vertraut, da die meisten deutschen Bücher unserer aus dem 19. Jahrhundert überkommenen Bibliothek in alter deutscher Schrift gesetzt waren und ich mit Verwandten aus dem Thurgau korrespondierte, die mir immer in Sütterlinschrift zurückschrieben.

Aus dem Gedächtnis gebe ich wieder, was ich damals las und deren wesentliche Hinweise sich mir nur erst viel später erschlossen:

Eines Tages pirschten Tarzan – nackt wie ihn Gott geschaffen hatte; ach Gott, wie geil sah er aus! - und dicht auf seinen Fersen Jane - züchtig mit einem sehr grossen Urwaldfeigenblatt umhüllt; o Gott, wie schändlich wenig sah man - einem Krokodil verseuchten Fluss entlang einer Wildsauhorde nach! Tarzan dürstete nach Koteletts und Blutwürsten! Da – o Schreck und Gott – rutscht Jane von der Uferböschung ab ins Wasser und die Krokodile machen sich sadistisch langsam auf den Weg zu dieser leichten, verstörten und ach so fragil-unbeholfen plantschenden Beute. Mit einem kühnen Blick misst Tarzan die Gefahr, fasst – klug deren Stärke messend - ein Stück hängende Liane mit der einen Hand und saust los übers Wasser, die andere Hand jener aus dem Wasser ragenden von Jane entgegenstreckend, welche diese aber verfehlt und das in ihrer Verzweiflung greift, was zwischen den Beinen von Tarzan hängt und knapp über den Wasserspiegel saust. Kaum gefasst, erstarren Tier- und Pflanzenwelt des Dschungels in Blut gefrierendem Schrecken! Ein markdurchdringender, lang gezogener Schrei durchschneidet die Luft. Der Tarzanschrei hatte erstmals das Ohr der Welt terrorisierend ereilt! Trotz dieser Imponderabilie erreichte Tarzan mit Jane das rettende Ufer. Frustriert schauten die Krokodile die entwichene Beute, belämmert Tarzan sein Gehänge, das länger geworden war. Mit der Zeit arrangierte sich auch dies wieder und die Potenz von Tarzan litt nicht - zur Freude von Jane und des männlichen Lieblingsgorillas von Tarzan!

Die Welt war also – wieder und noch – in Ordnung, da Tarzan fortfuhr, in der elementaren, aber nicht minder klassischen, sozusagen naturrechtlichen philosophischen Überzeugung zu stehen: Busen sei Busen und Loch sei Loch, pourvu qu’on aime!

Diese elementaren Hinweise finden sich in keiner Ausgabe von Edgar Rice Burroughs, auch nicht in der, welche ich als Kind der väterlichen Bibliothek entlieh. Von wem stammten die Aufzeichnungen, die ich fand? Die Schrift meines Vaters war es nicht, jene Grossvaters – die ich gut kannte - auch nicht. Die feine, kleine Schrift liess mich eher an eine Frau denken: Grossmutter väterlicherseits? Ich weiss es nicht, aber wahrscheinlich schon; denn Grossmutter war bekannt für ihre witzige, manchmal respektlose Art. Und sie kannte Edgar Rice Burroughs, den Autor des „Tarzans“, noch persönlich! Verlassen wir kurz Tarzan und kommen wir zurück auf meine Familie.

Wie wohl vielen entweder unbekannt oder wenig bewusst, ist ein Schweizer nicht zuerst Schweizer, sondern Bürger seiner Heimatgemeinde – auch wenn er seit dem Mittelalter nie mehr die Füsse dorthin setzte; des ungeachtet werden dort seine Schriften gehortet und gepflegt -, deshalb zwingend auch Bürger des Kantons seiner Gemeinde. Zu allererst ist der Schweizer Gemeinde- und Kantonsbürger und nur - weil nicht mehr vermeidbar - mit einem Pass der Schweizerischen Eidgenossenschaft ausgestattet und damit auch Schweizer Bürger, aber das nur in dritter und unentbehrlicher Linie! Bis vor Kurzem – und als die Welt noch stimmte – wurde das Bürgerrecht über den Vater vererbt. Meine Heimatgemeinden sind Salenstein und Ermatingen im Kanton Thurgau am Untersee, also gleich vis-à-vis der Reichenau und damit dem Grabe König Karls des Kahlen – von ihm habe ich die Glatze.

In meiner Heimatgemeinde wimmelt es von Ilg’s wie von roten Hunden. Um sie auseinanderzuhalten, gibt man ihnen Beinamen: Ilg-Schreiner, Ilg-Maler, Ilg-Käser usw. Da die heimische ilgsche Bevölkerung sich vermehrte und das nicht nur in ehelichen Betten, sondern auch zur linken Hand, sind die Verwandtschaftsverhältnisse vielschichtig und wenig durchschaubar. Wenn sich in meiner Jugend unbekannte, aber formell empathisch strahlende Leute vor mir und meinem Vater aufbauten und uns – eher zurückhaltend, wie der Thurgauer Natur eigen - als Verwandte begrüssten, war meine Frage regelmässig an meinen Erzeuger, wie wir denn verwandt seien, was er aber auch nicht wusste, weil ihm grundsätzlich wurscht. Es seien alle Menschen untereinander verwandt, meinte er, was zwar richtig, aber der kategorialen Erfassung doch eher unzuträglich. Von dieser Seite habe ich – ex oppositione – die analytische Intelligenz.

Mein Grossvater war Kind seiner Mutter – wie ungewöhnlich, mater semper certa est – welche Katharina hiess, eine tapfere kleine Frau, Magd des Müllers von Salenstein oder Ermatingen – die Details sind eher verschwommen -, eines sehr lebhaften, kraftvollen und vitalen Mannes, dessen Gattin immer kränkelte, was ihn verhinderte, seine Potenz ehelich abzubauen. Er griff auf Katharina zurück, die ihm zwei Kinder gebar, zuerst einen Sohn (1877), mein Grossvater namens Konrad, dann eine Tochter mit Namen Frida, meine Grosstante. Von dieser Seite erbte ich die Tendenz zur sexuellen Neugierde.

Damit wäre die logische wie auch erzählerische Grundlage für das weitere familiäre Entwicklungsgeschehen gelegt – wenigstens väterlicherseits.

Mütterlicherseits ist es einfacher, weil meine Mutter aus dem Greyerzerland stammte, deren adeliger mütterlicher Zweig im frühen Mittelalter aus Spanien eingewandert und beim Grafen von Greyerz Karriere machte und über Generationen die Polizeiminister stellte. Die Abstammung ist hier also über Jahrhunderte nachvollziehbar. Von dieser Seite erbte ich die inquisitorische und sadistische Ader, aber auch Raffinement, diplomatisches Geschick, gute Formen und den grosszügigen Umgang mit Geld.

Der Vater meiner Mutter war Abkömmling von Grossbauern mit politischem Einfluss, - im 19. Jahrhundert also radikal, was für den Kanton Freiburg damals schlimmer war, als im Vatikan antiklerikaler Kommunist zu sein – einen Einfluss, den man in extremis auch mit Mord durchsetzte. Also geschehen anno 1830 am Präfekten von Corbière – einem reaktionären Geschwür. Mein mörderischer Ahne flüchtete nach Amerika. Von dieser Seite habe ich die kriminelle Ader und einen radikalen Touch in politischen Angelegenheiten.

In diesem Familienzweig gab es auch Industrielle, die eine Distillerie führten. Von dieser Seite habe ich den Hang zu teuren Flaschen. Dieser Familienzweig stellte auch einen Abt des Klosters Val Sainte. Von ihm habe ich die mystische Seite und den Hang zur Katholizität.

Zurück zur väterlichen Verwandtschaft.

Wie es der Teufel oft will, verstarb urplötzlich der starke Müller an einem Versagen des Herzens, was niemanden exzessiv erstaunte, hatte er ja sein Herz und Teile seines Unterleibes überaus grosszügig und ohne Schonung der Damenwelt – und auch anderen Teilen der Welt, wie man munkelte – zur Verfügung gestellt. Von dieser Seite habe ich die sexuelle Toleranz.

Nach dem Tode des Müllers ergab sich ein Wunder: Die kranke Müllerin wurde gesund und stellte Katharina samt Kinder vor die Türe. Die tapfere, aber in dieser Situation doch verzweifelte Katharina, suchte einen Mann und begegnete einem, der bereits zehn Kinder hatte, aber nichts zum ehelichen, also billigen, Koitieren, weil der dazu unentbehrliche Teil seiner Ehegemeinschaft schon weggestorben war. Er ehelichte Katharina und fand, zwölf am Tisch seien genug, vierzehn brauchten es nicht zu sein. Mein Grossvater wurde bei einem Bauern verdingt, wo er es offenbar nicht allzu schlecht hatte, die Frida kam zu einer Schneiderin in Arbon oder Rorschach zur Lehre, wo sie sich nicht sehr wohl fühlte und später aus lauter Ärger über ihre Verwandtschaft nach England auswanderte und dort den Herrn Harry Punk ehelichte, einen reichen Porzellanhändler. Im zarten Alter von einem Jahr behütete mich Frida, die mich oft an ihren Busen drückte, während meine Eltern England bereisten. Von Frida habe ich die Begeisterung für sehr grosse Busen.

Der Harry hatte einen Bruder George, Junggeselle, ohne bekannte sexuelle Aktivitäten, aber mit einem Talent für den Verkauf von Porzellan, für die Zucht von Rosen und Nymphaeaceaes in allen Farben und Grössen, die man heute noch in der Umgebung von Camberley in Surrey in Teichen und Seen bewundern kann. Von ihm - nicht übers Blut, sondern über das Vorbild – habe ich die Liebe zum Gärtnern geerbt.

Dieser George war ein wandelndes Geschichtsbuch des 19. Jahrhunderts.

Mein Grossvater väterlicherseits, eine grosse Kämpfernatur, hatte sich zum international anerkannten Gewerkschafter emporgearbeitet und war über dreissig Jahre bis zum Tode Präsident des Schweizerischen Metall- Uhrenarbeitnehmerverbandes – aufgegangen in der UNIA. Er war auch der Schöpfer des legendären Friedensabkommens in der Schweizerischen Metallindustrie mit den Arbeitgebern, wonach die Arbeitnehmer auf Streiks und die Arbeitgeber auf Aussperrung verzichteten, dafür jede Differenz unter den Sozialpartnern einem Schiedsgericht zu unterbreiten sich verpflichteten. Deshalb kennt die Schweiz noch heute so wenige Streiks. Von ihm habe ich den Sinn für Gerechtigkeit und Autorität geerbt, ebenso die Lust am Krampfen und am Kämpfen.

Grossvater war beruflich und privat viel in England, teils mit Grossmutter, wo eben die Schwester Frida wohnte und dort hat er, aber wohl auch Grossmutter, Edgar Rice Burroughs im Kreise von Frida, Harry und George getroffen.

Als ich die zitierte Notiz über Tarzan fand, ahnte mein kindliches Gemüt, dass ich das wohl besser für mich behielt, aber es inspirierte mich zur Nachforschung über meine Familie.